Der Bahnhof Lichtenau - Ulm
Unser Heimatbahnhof im geschichtlichen Rückblick
Kilometer 26,0 - so lautete die offizielle Kilometermarkierung an den Wänden des alten Lichtenauer Bahnhofs an der ehemaligen Lokalbahnstrecke Kehl - Lichtenau - Bühl.
Kaum jemand der jüngeren Lichtenauer Bevölkerung kennt die Bahnlinie noch, die von 1892 bis 1980 ihren Weg durch den Lichtenauer Ortskern nahm. Ein kurzer eisenbahngeschichtlicher Rückblick soll dies aufklären.
Begonnen hat die Geschichte schon im Jahr 1831. In Baden begann die Zeit des politisch liberalen Aufschwungs. Der badische Landtagsabgeordnete Fecht forderte, dass das moderne Verkehrsmittel „Eisenbahn“ baldmöglichst in Baden Einzug halten solle. Auch der große Visionär und Ökonom Friedrich List brachte 1833 eine Bahnlinie von Mannheim dem Rhein entlang bis Kehl und weiter bis Freiburg und Basel ins Gespräch. Zwischen den Jahren 1840 bis 1845 wurde eine solche Strecke, allerdings in Gebirgsnähe, als großherzoglich badische Staatsbahnlinie gebaut.
Erst drei Jahrzehnte später kam die sogenannte „Rheinuferbahn“ wieder ins Gespräch. 29 Gemeinden entlang des Rheins zwischen Kehl und Baden-Oos forderten 1869/70 den Bau einer solchen Bahnlinie. Im Bericht der badischen Eisenbahnkommission vom 5.März 1870, welche vom Abgeordneten Robert Gerwig verfasst wurde, gab es einige Einwendungen. In seiner Stellungnahme kam zum Ausdruck, dass die Bahn von Oos nach Kehl nur eine unwichtige lokale Bedeutung habe und „irgendwann“ einmal entstehen werde...!
Wieder vergingen einige Jahre, ehe diese Rheinuferbahn erneut ins Gespräch kam. Zu verdanken hatten dies die Gemeinden und Dörfer im Hanauerland der Straßburger Straßenbahn-Gesellschaft (SSB), die 1885 ihr Straßenbahnnetz rechtsrheinisch ausbauen wollte. Erwähnt werden sollte allerdings noch, das Straßburg und das Elsaß seit 1870/71 zum Deutschen Reich gehörten.
Schon einige Zeit vorher befasste sich parallel dazu ein so genanntes „Initiativkomitee für Erbauung der Straßenbahn Kehl - Lichtenau“ mit der Ausarbeitung reines rechtsrheinischen Straßenbahnprojektes. Doch die Kostenvoranschläge für den Bau dieser Bahn waren zu hoch. Erst der Straßburger Ingenieur Single erarbeitete einen wesentlich günstigeren Kostenvoranschlag, der am 16. Januar 1888 beim badischen Landtag eingereicht wurde. Der badische Landtag stimmte am 5. Mai 1888 dem Gesetz zum Bau einer Lokalbahn von Kehl nach Lichtenau mit späterer Fortsetzung nach Bühl zu. Am 30. April 1890 wurde die Konzession an die Straßburger Straßenbahn erteilt.
Für Lichtenau waren 1890 drei Varianten in Planung.
Bei Variante 1 führte die Strecke von Norden kommend in linker Seitenlage neben der Straße aus Schwarzach nach Ulm. In Höhe des heutigen Bauunternehmens Früh sollte die Trasse die Grefferner Straße (heute B 36 kreuzen) und auf geradem Wege über den Schwarzbach und die Schanz geführt werden. Auf der Höhe des früheren Schloßplatzes sollte der Bahnhof sein. Dies ist heute eine unbebaute Fläche neben einem Einkaufsmarkt. Die Trasse führte dann weiter Richtung Süden und kam in Höhe der heutigen Kneipe „Pigalle“ wieder auf die Hauptstraße und folgte dieser in Seitenlage weiter bis Scherzheim.
Die 2. Variante wandte sich nördlich von Ulm von der Schwarzacher Straße einige Meter nach Osten ab und kam zwischen Gasthaus Rössel und Sternen auf die heutige B 36. Hier sollte eine Agentur und ein Haltepunkt Ulm entstehen. Weiter führte die Trasse entlang der B36 und folgte ihr komplett in Seitenlage bis Scherzheim. Die Haltestelle Lichtenau sollte vor dem Gasthaus Blume sein. Selbige wäre dann zur Bahnhofsagentur erhoben worden.
Die 3. Variante war bis vor dem Rathaus gleich zur 2. Variante. Anstatt nun der Hauptstraße zu folgen, führte die Trasse in gerader Linie weiter am Gasthaus Ochsen vorbei in Richtung Friedhof.
Nach Überquerung der Acher führte die Trasse im leichten Bogen in westlicher Richtung auf die Hauptstraße zu und traf in Höhe der heutigen Gärtnerei Kirschenmann wieder auf die Hauptstraße.
Der Bahnhof sollte hinter dem Gasthaus Ochsen (heutige Freifläche bei Elektro Burkard) entstehen.
Ein zweiter Haltepunkt sollte kurz vor dem Zusammentreffen der Bahntrasse und der Hauptstraße an der heutigen Gärtnerei Kirschenmann sein.
Interessant an diesen Varianten war, dass es beim Bau der Bahn eine Mischung aus allen Varianten gab: Ausgeführt wurde hauptsächlich die Variante 3, der Bahnhof entstand aber nicht in der Nähe des Rathauses (bei Elektro Burkard), sondern direkt an der Gemarkungsgrenze Ulm/Lichtenau an der Schwarzbachbrücke (heute Bushaltestelle Schwanen). Deshalb erhielt die Station auch den Namen Lichtenau - Ulm.
Die Bahnhofsanlagen des Lichtenau - Ulmer Bahnhofs wurden im Sommer 1890 ausgesteckt und im April 1891 begonnen. Zum Bahnhof gehörten das einstöckige Empfangsgebäude mit Abort sowie ein Güterschuppen. Bereits am 15.Dezember 1891 konnte der erste Probezug durch Lichtenau fahren. Auf der Rückfahrt nach Kehl entgleiste dieser Zug dann übrigens in der Ortsdurchfahrt von Lichtenau. Trotzdem konnte am 4. Januar 1892 unter Anwesenheit des Großherzogs Friedrich I. die Straßenbahnlinie Kehl - Lichtenau - Freistett eröffnet werden.
1914 brach der Erste Weltkrieg aus, der einschneidende Veränderungen im Bahnbetrieb der SSB mit sich brachte. Bekanntlich verlor Deutschland diesen Krieg und so wurde das Reichsland Elsaß-Lothringen wieder französisch. Auch die SSB stand fortan unter französischer Verwaltung. Am 15. August 1920 erklärte sie ihren Verzicht auf das rechtsrheinische Streckennetz zwischen Rastatt und Kehl. Die Bahnlinie wurde der Reichsbahndirektion Karlsruhe zugeteilt, diese lehnte aber dankend ab. Verhandlungen mit der DEBG (Deutsche Eisenbahn-Betriebsgesellschaft) scheiterten ebenfalls. Das Land Baden suchte verzweifelt nach einer Lösung. Als Ausweg blieb nur die Gründung einer neuen Gesellschaft und die Vereinigung aller mittelbadischen Bahnlinien in derselben.
So wurde am 30.Juni 1923 die neue Mittelbadische Eisenbahn-Gesellschaft (MEG) gegründet.
Langsam normalisierten sich die Verhältnisse. Schon 1934 wurden die ersten Dieseltriebwagen beschafft, die bis 1939 den größten Teil des Reiseverkehrs übernahmen.
Auch der Zweite Weltkrieg traf die Bahn besonders hart. Der Kraftstoff fehlte und die Dampflok kam wieder zu Ehren. Zum Kriegsende 1945 verlor die MEG auch noch die Hauptwerkstatt und die Hauptverwaltung in Kehl.
Nach dem Zweiten Weltkrieg befanden sich Bahnanlagen und Gebäude mancher Teilstrecken in einem äußerst schlechtem Zustand. Ungünstig gelegene Ortsdurchfahrten wie z.B. in Lichtenau erschwerten den Bahnbetrieb. Es hätte sehr großer finanzieller Mittel bedurft um diese Zustände zu beseitigen. Da diese Mittel auch schon damals fehlten, legte man nach und nach einzelne Streckenabschnitte südlich von Kehl still, um sich auf die rentableren Nordstrecken zu konzentrieren.
Der Bahnhof von Lichtenau musste in den frühen 50er Jahren einige Umbaumaßnahmen über sich ergehen lassen. Auf das einstöckige Gebäude wurde ein zweiter Stock aufgesetzt. Diese Maßnahme wurde bei sehr vielen MEG - Bahnhöfen durchgeführt. Nördlich der Güterhalle entstand ein Triebwagenschuppen mit Anschlußgleis.
Mitte der 60er Jahre gab es noch die MEG Strecken Schwarzach - Rastatt, Schwarzach - Bühl und Schwarzach - Freistett. Diese Bahnlinien erlebten zu damaliger Zeit noch einen letzten Aufschwung, ehe es bald danach bergab ging.
Es gab inzwischen die ersten Überlegungen zu einer Umspurung der Strecke Bühl - Schwarzach - Freistett. Leider fehlte 1969 das Geld für solche Projekte und so wurden die Pläne von der Landesregierung kräftig zusammengestrichen. Es blieb lediglich der Streckenabschnitt Bühl - Schwarzach - Söllingen für die genehmigte Umspurung übrig.
Der Personenverkehr auf der Strecke Schwarzach - Lichtenau - Freistett wurde noch bis zum 26. September 1970 aufrecht erhalten. An diesem Tag gab es den letzten planmäßigen Personenverkehr auf der Schiene durch Lichtenau. Ab dem Folgetag, dem 27.September 1970 übernahm der Bus den öffentlichen Nahverkehr.
Der Bahnhof in Lichtenau blieb weiter in Betrieb. Zum 1. Oktober 1971 wurde die MEG aufgelöst und ging in der neu gegründeten „Südwestdeutschen Eisenbahn Aktiengesellschaft“ (SWEG) auf. Der verbleibende Güterverkehr auf der Bahn hatte am Schluß in Lichtenau noch zwei Kunden. Zum einen die Raiffeisengenossenschaft, die Dünger erhielt und die Kohlenhandlung Schell aus Ulm, die des öfteren Kohlewagen im Bahnhof ausgeladen hatte. Zweimal am Tag beförderte eine Diesellok aus Schwarzach Güterwagen nach Scherzheim zu einem großen Stahlrohrmöbelhersteller. Dies war auch der letzte
Kunde, der per Bahn bedient wurde.
Zum 1. Juni 1975 wurde der Schalter des Lichtenauer Bahnhofes endgültig geschlossen. Bis dahin konnten Fahrkarten für ganz Deutschland gekauft und Stück- und Expressgut aufgegeben bzw. abgeholt werden. Die letzten beiden Lichtenauer Bahnhofsmitarbeiter der MEG waren Herr Rainer Weisbrod (Lichtenau) und Emma Bahlinger aus Ulm.
Nachdem der Bahnhof nun leer stand und der Abriss drohte, gründete sich eine kleine Bürgerinitiative zum Erhalt des Empfangsgebäudes und Umwandlung in ein Heimatmuseum. Leider war diese Aktion nicht von Erfolg gekrönt, im September 1977 kam fast über Nacht der Abriss. Der Bahnhofsplatz wurde eingeebnet. Lediglich die Gleise wurden noch genutzt.
Obwohl die Konzession den Schmalspurbetrieb noch bis ins Jahr 1985 erlaubte, drängte die Stadt Lichtenau auf die baldige Stilllegung der Bahn, damit die Ortsdurchfahrt für den inzwischen stark angestiegenen LKW-Verkehr ausgebaut werden konnte. Am 31. Dezember 1980 ging dieser Wunsch in Erfüllung. Die letzte Meterspurstrecke der MEG/SWEG wurde an diesem Tag stillgelegt. Lediglich zum Streckenabbau im Sommer 1981 kam es noch zu den allerletzten Fahrten einer Lok im Lichtenauer Stadtgebiet. So traurig endete damals die Lichtenauer Eisenbahngeschichte.
Der Bahnhof Lichtenau ist wieder im Maßstab 1:87 (H0) auferstanden...
Der Modellclub 1:87 Lichtenau e.V. hatte vorher schon die alten MEG-Bahnhöfe Moos und Memprechtshofen nachgebaut. Im Jahre 2003 begannen die ersten Arbeiten zum Lichtenauer Bahnhof. Viele Bilder und Unterlagen wurden gesichtet, Pläne im Generallandesarchiv besorgt und in den folgenden zwei Jahren von den Vereinsmitgliedern Rolf Baumann aus Bühl und Thomas Kohler aus Lichtenau maßstabgerecht umgesetzt. Das fertige Modell wurde am 14.Januar 2006 zum ersten Mal den Lichtenauer Bürgern gezeigt. Somit ist auch dieser kleine Teil der Lichtenauer Geschichte, wenn auch nur im Modell, erhalten geblieben.
Autor
T. Kohler
1. Vorsitzender
Modellclub 1:87 Lichtenau e.V.
Der Bahnhof Lichtenau - Ulm Im Original im Jahre 1969/70
Foto G. Vogel / Archiv T. Kohler
Bahnhof Lichtenau – Ulm im Model erbaut vom Modellclub 1:87 Lichtenau e.V.
Foto und Archiv A. Steffens